Winterstürme an den Ostseeküsten

Der Januar ist bekannt für seine Stürme. Doch in diesem Jahr bereitet Tief „Axel“ den Ostseeküsten große Sorgen. Trotz zeitiger Sturmwarnungen und Schutzmaßnahmen hat es viele Teile der Küsten schwer getroffen. Das Sturmhochwasser war höher als erwartet, die Pegelstände teilweise 1,83m über Normal. In Rostock wurde u.a. die Hauptverkehrsstraße im Hafen wegen Überflutung gesperrt, in Wismar liefen in ganzen Straßenzügen die Keller voll, in Graal-Müritz wurde die Seebrücke beschädigt, auf Usedom wurden Strandimbisse weggespült und es kam zu Steilufer-Abbrüchen. „Es war die stärkste Sturmflut seit 2006“, sagte Jürgen Holfert vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH).

Auf Rügen überspülte das Sturmhochwasser im Bereich Mönchgut-Granitz eine Straße und schnitt einen Ortsteil von der Hauptgemeinde Gager ab. Das Wasser steht 40cm auf der Zufahrtsstraße. Auch ein Deich wurde auf 100m überspült. In Binz versuchte man stundenlang eine Strandbar vor den Fluten zu retten – vergeblich. Der Besitzer entschied sich, die Bar zu räumen, als das Meer sich durch die aufgeschütteten Sandberge fraß. Einen Strand-Imbiss in Binz und eine mobile Rettungswache in Glow konnte man retten, indem man sie mit einem Traktor in die Dünen zog. Während in Binz zahlreiche Strandkörbe in Meer gerissen wurden, konnten in Glowe alle Strandkörbe gesichert werden. Die Ursache liegt laut Wetterexperten im sogenannten Badewanneneffekt. Das Wasser wird bei Windstärken von 7-8 erst von den Küsten weggedrückt und beim Drehen des Windes wieder zurückgespült. Begünstigt wird dies durch den gerade hohen Füllungsgrad der Ostsee.

Obwohl sich vielerorts die Situation nach Mitternacht etwas entspannt hat, drückt die Ostsee weiterhin an die Dünen, ganze Strandabschnitte sind völlig  überspült. In den sozialen Medien posten Küstenbewohner beängstigende, wenn auch faszinierende Bilder vom immer noch tobenden Sturm und den Ausmaßen des schlimmsten Sturmhochwassers seit 10 Jahren. Allerdings sind diese Werte nichts im Vergleich zum Jahr 1872.

Männer, denen die Wellen bis
unter die Arme schlugen, schleppten ihre Frauen und Kinder aus den Häusern und suchten sie nach höher
gelegenen Stellen des Ortes oder nach der neuen Kirche zu bringen, dann zurückeilend, um Betten,
notwendige Kleidungsstücke, Vieh und dgl. zu holen …

(den kompletten Augenzeugenbericht finden sie hier)

 

Die Ausmaße dieses Sturms, der mit mehr als 120km/h über die Küsten hinweg fegte und die Pegel auf teilweise 3,76m über Normal ansteigen ließ, waren verheerend: auf der Insel Usedom gab es einen Durchbruch mit einer Breite von 2,5km, der Ort Peenemünde wurde gänzlich überschwemmt. In Wieck wurden fast alle Gebäude zerstört, in Stralsund wurden zahlreiche Schiffe zerstört und der Hafenbereicht überspült. Insgesamt musste Mecklenburg-Vorpommern in diesem Jahr 32 Tote verzeichnen. Die Schäden und Opferzahlen in Schleswig-Holstein und Dänemark waren noch weitaus höher. Allerdings war dieses Sturmhochwasser auch das erste, das wissenschaftlich untersucht wurde. Der dänische Professor Dr. L.A. Colding und andere Wissenschaftler konnten mit Hilfe von ca.400  zugeschickten Messdaten und Berichten aus dem gesamten Ostseeraum eine genaue Auswertung und Ursachenanalyse erstellen. Die Daten bilden den Maßstab für Aufbau und Unterhaltung des Küsten- und Hochwasserschutzsystems in Mecklenburg-Vorpommern. Bücher wie z.B. „Die Ostsee-Sturmflut 1872“ von Heinz Kiecksee, das genau 100 Jahre später herausgebracht wurde oder der Roman „Sturmflut“ von Friedrich Spielhagen widmen sich der Katastrophe von 1872.
Schon aus den Jahren 1304 und 1703 gibt es Augenzeugenberichte über die Überflutung von Mönchgut und den herabstürzenden Kirchtürmen in Samtens und Gingst.(„Geschichte Rügens von den Anfängen bis zur Gegenwart“, Otto Wender: 1895)

Heutzutage gibt es Frühwarnsysteme, den Generalplan Küsten- und Hochwasserschutz Mecklenburg-Vorpommern, die Feuerwehren und  andere Einsatzkräfte, Schlimmstes kann so meist verhindert werden. Trotzdem steht man den Naturgewalten noch immer machtlos gegenüber. Ehrfürchtig und zugegebenermaßen fasziniert kann man nur zuschauen, wie sich die grauen Wassermassen tosend ihren Weg bahnen, alles mit ins Meer reißen, was nicht ausreichend gesichert ist.

In der Hoffnung, dass niemand zu Schaden gekommen ist, wünschen wir ihnen trotzdem eine wundervolle Zeit auf Rügen!
Und ein Gutes haben die Winterstürme: das Gold der Ostsee wurde durch die Fluten an den Strand gespült und wer sich auf die Suche begibt, wird sicherlich den einen oder anderen Bernstein finden! Viel Glück!!!

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